Lohengrin von Salvatore Sciarrino

Lohengrin von Sciarrino in Coburg

…Sciarrinos Lohengrin ist ein Experiment, das sich an jenen Grenzen bewegt, wo aus dem Atmen heraus sich erst die Töne bilden, die Töne in Geräusche übergehen und die Geräusche wiederum in Stille versickern. Nur eine Duse der Sprechgesangskunst wie die virtuos wandelbare Salome Kammer kann aus so einem zerbrechlichen, gefährdeten Material wiederum ein neues Gesamtkunstwerk erschaffen.
Nun steht die Kammer in Coburg auf der Bühne, schmust zwischen flackernden Teelichtern mit einer alten Ritterrüstungsbeinschiene herum, vergewaltigt lüstern ein paar Federkissen, tanzt eine Siebenschleiertanz und grunzt, wispert, ächzt, kichert.
Anfangs staunt und kichert ihr das Publikum noch verlegen entgegen, aber rasch nimmt sie es gefangen. Und Roland Kluttig und seine famosen Musiker ziehen und schieben kräftig mit beim Aufbau der nervenkitzelnden Spannungskurve, die sich erst auflöst, als Elsa-Salome sich entscheidet und, mit einem Kinderlied auf den Lippen, den Koffer nimmt und geht…

Eleonore Büning, FAZ, 2014

…Auf einem ungeheuer ästhetisierenden Teppich zwischen Klingen und Schweigen steht die Protagonistin Elsa, deren virtuoser Part jeden nur denkbaren Aspekt von „Stimme“ als Spiegel einer tief betroffenen seelischen Befindlichkeit nützt.
Es dominieren unartikulierte Äußerungen (sogenannte „erweiterte Vokaltechniken“) wie Hauchen, Girren, Husten, Zungenklicken, Lippenschmatzen, Mundklick oder Speichelschäumen in der Mundhöhle, die sich dem Hörer oder dem Betrachter, der so etwas nicht gewohnt ist, zeichenhaft einbrennen. Gezeigt wird das Drama einer geistigen Zerrüttung.
Es gibt derzeit neben Salome Kammer keine auch nur annähernde Konkurrenzbegabung, die diesen Anforderungen derart gewachsen ist: Die Aufspaltung in einen männlichen Lohengrin, der sich als erotischer Totalversager „outet“ und eine jungfräuliche Elsa, die ihre aufblühende Sexualität (endlich) befriedigt wissen will. Andeutungen aus dem von Salome Kammer auf italienisch vorgetragenen Text…lassen darauf schließen, dass es sich um ein noch nicht abgeschlossenes Trauma einer jungen Frau in der Psychatrie handelt…

K.G.v.Karais, Opernglas, 2014

 

Salvatore Sciarrino: Lohengrin / ML Roland Kluttig/ R Bodo Busse / A Bodo Busse / Premiere 15.03.2014 / Landestheater Coburg

Salvatore Sciarrino: Lohengrin / ML Roland Kluttig/ R Bodo Busse / A Bodo Busse / Premiere 15.03.2014 / Landestheater Coburg

Salome Kammer fasziniert auf Anhieb durch Spiel- und Stimmpräsenz. Sie schnurrt mit den Stimmbändern, gurrt, turtelt, flüstert luftleer, haucht schnelle Textpassagen, ploppt rhythmisch mit den Lippen. Was zuerst befremdlich wirkt, zieht im Verlauf des Stückes in seinen Bann: wie aus Buchstaben Worte werden, so entfaltet sich aus dieser anfangs unbekannten Stimmlandschaft später eine sehr klare, wie aus dem Innern hervorgestülpte Erzählweise. Die Musiker und Choristen um die überragende Solistin Salome Kammer erzeugen unter dem präzis-strukturierten Dirigat von Roland Kluttig einen immer mehr an Sog entwickelnden Strudel von Gefühlen, der sich in die Außenwelt bricht…

Bernd Schellhorn, Neue Presse, Coburg, 2014

 

Salvatore Sciarrino: Lohengrin / ML Roland Kluttig/ R Bodo Busse / A Bodo Busse / Premiere 15.03.2014 / Landestheater Coburg

Salvatore Sciarrino: Lohengrin / ML Roland Kluttig/ R Bodo Busse / A Bodo Busse / Premiere 15.03.2014 / Landestheater Coburg

Vier Schwerter samt Schild, ein endlos langer Brautschleier, ein Meer flackernder Kerzen auf schwarzem Boden, dazu ein Reisekoffer am linken Bühnenrand – das sind die symbolschwer aufgeladenen Requisiten, die Bodo Busse für seine Ausstattung ausgewählt hat. Mit genauem Gespür für die Ausdruckskraft kleiner Gesten lässt Busse seine prominente Gastsolistin Salome Kammer agieren. Seine szenische Deutung lauscht gleichsam Sciarrinos Klängen nach und vertraut der darstellerischen wie stimmlichen Virtuosität Salome Kammers.
Stimmakrobatin und packende Darstellerin – Salome Kammer wird bei diesem Coburg-Gastspiel ihrem Ruf gerecht, den sie mit zahlreichen Musiktheater-Uraufführungen errungen hat.
Ihr gelingt es, das Drama, das sich Sciarrinos „Lohengrin“ nur in Elsas Kopf abspielt, sinnliche Bühnenwirksamkeit werden zu lassen. Geräusch oder Klang, verfremdeter Naturlaut oder schließlich ganz am Ende doch Gesang, Salome Kammer demonstriert, zu welcher Vielfalt die menschliche Stimme fähig ist. Dabei ist dieses Solo kein virtuoser Selbstzweck, sondern das Klang gewordene Psychogramm einer verlassenen, einsamen Frau, die geplagt wird von ihren Erinnerungen an eine völlig missratenen Hochzeitsnacht.
Denn in dieser Hochzeitsnacht, das enthüllt Elsa in ihren bruchstückhaften Rückblenden, zeigt sich Sciarrinos Lohengrin geradezu gelangweilt von seiner jungfräulichen jungen Ehefrau, stößt sie von sich und lässt sie irritiert, ja traumatisiert zurück.
In Salome Kammers Darstellung wird daraus eine gedankliche Reise in die Vergangenheit, die immer wieder am Abgrund der Verzweiflung entlang führt…

Jochen Berger, Coburger Tagblatt, 2014

 

Lohengrin von Sciarrino in Oldenburg

Keuchen, Glucksen und Rülpsen – Salome Kammer glänzt in „Lohengrin“ von Salvatore Sciarrino

Fast zehn „Vorhänge“ in der Exerzierhalle: Haben wir am Oldenburgischen Staatstheater Mozart oder Verdi gehört? Nein, zeitgenössisches Musiktheater, „Lohengrin“ des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino. „Unsichtbare Handlung für Solistin, Instrumente und Stimmen“ nennt er sein 1982 entstandenes, 1983 in Mailand uraufgeführtes Melodram.
Die knapp einstündige Aufführung konnte aus vielerlei Gründen zu einem solchen Erfolg werden: einmal ist die Musik von Sciarrino durchweg „schön“, ohne jedoch traditionelle expressionistische Ausdruckmuster zu verwenden. Sciarrino arbeitet mit glitzernden Flageolettklängen, leise oft bis zur Unhörbarkeit, mit dramaturgisch gut akzentuierten Bläserklängen und vor allem mit der Methode, dass er nie die Solistin in irgendeiner Weise begleitet, sondern die Ebenen ineinander fließen lässt: die Lautgeräusche, die Elsa da produziert, sind immer auch ein Teil des 19-köpfigen Orchesters und die Orchesterklänge sind nicht Untermalung, sondern Bestandteil ihrer dramatischen inneren Bewegung.
Zweitens ist dem Regisseur Thomas Fiedler eine Sicht gelungen, die die „Durchgeknalltheit“ der armen Protagonistin fernab jeglicher Sentimentalität zeigt. Das ist wegen des Sujets nicht ganz einfach, denn die kleine Erzählung aus der Sammlung „Moralités légendaires“ des französischen Dichters Jules Laforgue (1860-1887), die hier zugrunde liegt, hat viel mit Zeitgeist unmittelbar vor der Erfindung der Psychoanalyse zu tun: Lohengrin verlässt Elsa nicht, weil sie – wie bei Wagner – die berühmte Frage nach seiner Herkunft nicht unterdrücken kann, sondern weil er in der Hochzeitsnacht mit der Siebzehnjährigen nicht in der Lage ist, ihr eine Zuneigung zu zeigen. Das ist ihr Trauma, sie durchlebt es in dieser Handlung, wird es jedoch nicht los. Als sie am Ende die Holzfigur vom Stuhl stößt, sich in Ruhe ein Butterbrot schmiert und dazu ein Volkslied summt, ist der Abend vorbei, nicht aber ihr Leid.
Der dritte Punkt des Erfolges gilt freilich der Interpretin Salome Kammer. Der Singschauspielerin, die in so vielen Uraufführungen ihr einzigartiges Doppeltalent nachgewiesen hat, scheint dieses Werk auf den Leib geschrieben: unbeschreiblich, wie sie am Anfang Natur- und Vogelgeräusche mit verschiedenen Mikrophonen in die Orchesterlandschaft keuchend, glucksend, rülpsend einbringt, wunderbar, wie sie in dem schön ausgeleuchteten Spiegelraum (Christian Wiehle und Alex Fleischer) in ihrem weißen Kleid ihre Erinnerungen und Visionen entfaltet, intensiv, wenn sie unzählbar viele Rufe „Elsa!“ nachmacht und variiert, wenn sie den Spiegel fragt, wie schön sie ist, wenn sie in unsichtbaren Gängen ihre Vergangenheit aufzusuchen scheint, wenn sie alleine den Dialog mit Lohengrin führt, wenn sie endlich einmal schreit, weil sie es nicht schafft, sich aus dem Trauma zu befreien. Die Aufführung dieses Werkes kann nur mit einer derartig vielschichtig begabten Schauspielerin gelingen. Die vor der Bühne aufgestellten MusikerInnen des Oldenburgischen Staatsorchesters gestalteten bestens Sciarrinos doppeldeutigen und reichen Klangzauber unter der sensiblen Leitung von Yuval Zorn.

Ute Schalz-Laurenze, Neue Musikzeitung, 2014

 

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DIE FRAU IN WEISS

Am Ende singt die Dame im weißen Cocktailkleid mit elegantem Kapuzenschal ein schlichtes Lied: friedliche Provinz, saubere Wäsche, heile Welt. Doch da wissen wir Zuschauer längst, dass die Bewohnerin dieser schicken Glitzer- und Glamourwelt mit Spiegelwänden, Plexiglasstühlen, Metalltischchen und Topfpflanzen schweren Schaden an ihrer Seele genommen hat. Wer oder was genau ihr dieses Unheil angetan hat, wissen wir allerdings nicht. Aber genau das ist eine Stärke von Thomas Fiedlers Inszenierung in der Ausstattung von Christian Wiehle, die in der Exerzierhalle, einer Außenspielstätte des Oldenburgischen Staatstheaters, Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ auf die Bühne gebracht haben.
Immerhin: Lohengrin, das wäre ein Anhaltspunkt. Es ist allerdings nicht der Wagnersche Schwanenritter, auf den sich Sciarrino, der italienische Komponist der feinen Seelengespinste, bezieht, sondern eine impressionistische Erzählung des Stéphane-Mallarmé-Zeitgenossen Jules Laforgue. Eine „Unsichtbare Handlung für Solistin, Instrumente und Stimme“ nennt Sciarrino das rund 50-minütige Werk im Untertitel, und was hier vor allem handelt, ist in der Tat nicht sichtbar, sondern muss im Hören erforscht werden: die eigentümlich Lautmalerei des Kammerorchesters und der Sopranistin, die sich gleichsam aus Naturlauten herausschält, ein Wispern und Krächzen und Klopfen und Zirpen, das sich bisweilen zu klangvoller Verdichtung steigert, aber ohne sich je zu so etwas wie einer „Melodie“ zu verdichten. Unangefochten im Mittelpunkt dieses Geschehens steht die Sängerin Salome Kammer mit ihrer grandiosen stimmartistischen Vokalperformance aus Hecheln, Glucksen, Schnalzen, Lachen, Husten Krächzen – ein Psychogramm als Lautmalerei an der Grenze zwischen naturalistischem Wahnsinn und artistischer Verfremdung.
Lohengrin also – das weiße Kissen (Cuscino) wird der einsamen, mondänen Frau zum Schwan (Cigno), was im Italienischen auch sprachlich naheliegt. Auch auf der Bühne ist für ein ausgestopftes Exemplar gesorgt, das allerdings schon etwas mottenzerfressen wirkt. Die Geschichte, die die Frau umtreibt, scheint lange her zu sein. Oder dient ihr die Rolle der Elsa nur als Maske für etwas anderes, das sie einst traumatisierte? Lohengrin, so klagt sie, habe sie erst vor den Anklägern errettet und dann als Frau verschmäht. Oder war es umgekehrt: Erst wurde sie von ihrem Geliebten verschmäht, dann wurde sie angeklagt? In dieser Reihenfolge jedenfalls thematisiert Sciarrino die Geschichte, die sich dem Zuschauer aus den hingehauchten und -gehaspelten Wort- und Satzfetzen der Sängerin nur andeutungsweise erschließt. Und die Crash-Test-Dummy-Gliederpuppe, die ihr am chromblitzenden Gartentischchen den Ritter ersetzen muss, hat keinen Kopf mehr. Ist das die Rachephantasie einer Verschmähten? Oder hat sie sich womöglich tatsächlich an einem desinteressierten Liebhaber gerächt? War das der Grund für Anklage?
Thomas Fiedlers Inszenierung eröffnet Assoziationsräume, in denen diese und andere Geschichten ihren Ort haben könnten. Und Salome Kammer performt diese geheimnisvolle Frau wirklich klasse. Ihr Spiel mit den Mikrophonen evoziert einen Hauch von Showstar-Atmosphäre, hilft aber auch, die verschiedenen Rollen, die sie einnimmt, zu unterscheiden. Dabei bleiben alle ihre Aktionen präzise abgezirkelt, auch daraus bezieht die Inszenierung ihre Spannung. Bemerkenswert ist zudem die Akkuratesse des Orchesters und der drei männlichen Vokalsolisten Volker Röhnert, Alwin Kölblinger und Henry Kiichli unter dem Dirigenten Yval Zorn. Am Ende großer Beifall für einen kleinen Oldenburger Opernabend.

Detlev Brandenburg, Die deutsche Bühne, 2014

 

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In der Hochzeitsnacht verlassen

Das Thema ist zeitlos: Wie verarbeitet der Mensch das Verlassenwerden? Dieser Frage spürt Salvatore Sciarrino in seiner Oper „Lohengrin“ (1982/ 1984) nach, die am Sonnabend in der Oldenburger Exerzierhalle des Staatstheaters ihre Premiere feierte. Mit ihr tritt er heran an den berühmten Lohengrin-Stoff, greift aber nicht, wie Wagner, auf Wolfram von Eschenbachs Versepos „Parsifal“ zurück, sondern auf eine Erzählung des französischen Symbolisten Jules Laforgue.
In dessen Version rettet der Schwanenritter Lohengrin Elsa durch Heirat vor der Blendung – eine drohende Strafe für ihre angebliche Unkeuschheit. In der Hochzeitsnacht allerdings folgt die Ernüchterung: Lohengrin verabscheut Elsas mädchenhaften Körper. Er nutzt die Gunst der Stunde, als sich das Kopfkissen des Ehebettes in einen Schwan verwandelt, und entschwindet auf dessen Rücken.
Sciarrino schafft sich einen ganz eigenen Zugriff auf diesen Stoff, dünnt aus und entzaubert. In seiner „unsichtbaren Handlung“ rückt er die Figur Elsa in den Fokus. Sie erinnert und reflektiert, nunmehr gealtert, das Geschehen.
Sie erlebt immer wieder die Anklage vor dem Tribunal sowie die Zurückweisung durch ihren Bräutigam. Sciarrino arbeitet mit Fragmenten, Brüchen und Wiederholungen, hebt die Chronologie auf und spielt mit der Perspektive. Die Schauspielerin und Sängerin Salome Kammer verkörpert nicht nur Elsa, sondern zugleich in 45 Minuten die rufende Menschenmenge beim Tribunal, Lohengrin in der Hochzeitsnacht oder eine neutrale Erzählinstanz.
Die szenische Aktion ist auch in der Inszenierung Fiedlers schlicht gehalten. Mit atemberaubender Präsenz generiert Kammer keuchend, flüsternd, röchelnd, glucksend, sprechend, schnalzend und zuletzt auch singend ein psycho-akustisches Porträt Elsas, wechselt virtuos zwischen Situationen und Figuren und lässt so zugleich eine ganz eigene lebendige Welt auf der Bühne entstehen.
Sciarrinos Musik ist eng auf die Person und die fiktive Raumgestaltung abgestimmt. Mit geräuschhaftem Flageolettieren, mit tonlosem Flöten, klaren Bläserklängen und pulsierendem Schlagzeug schaffen die Mitglieder des Oldenburger Staatsorchesters unter der Leitung von Yuval Zorn eine greifbar räumliche Atmosphäre und machen die späte Verarbeitung des Verlassenwerdens zu einer ganzheitlichen sinnlichen Erfahrung.

Annkatrin Babbe Nordwestzeitung, 2014

 

Elsas psychische Krisen

In ihrer Reihe „Operation X“ widmet sich das Oldenburgische Staatstheater regelmäßig ausgefallenen Werken des modernen oder experimentellen Musiktheaters. Jetzt gab es in der Exerzierhalle die Kammeroper „Lohengrin“ von Salvatore Sciarrino. Der Komponist nennt sein 1983 in Italien uraufgeführtes (und 1993 in Bonn erstmalig in Deutschland gespieltes) Werk „Unsichtbare Handlung für Solistin, Instrumente und Stimme“.
Mit Wagners „Lohengrin“ hat Sciarrinos Komposition allerdings nicht viel gemein – nicht nur, weil bei Wagner sehr viel und bei Sciarrino fast gar nicht gesungen wird. Hier dreht es sich ausschließlich um Elsa, die in ihrer psychischen Krise das ihr Widerfahrene in einem knapp einstündigen Monolog rekapituliert. Die literarische Vorlage stammt von dem französischen Dichter Jules Laforgue (1860-1887). Dort ist Elsa der Unkeuschheit angeklagt und soll geblendet werden. Ihr Retter Lohengrin erweist sich aber als Enttäuschung, da er kein wirkliches Interesse an Elsa hat und vor ihrer körperlichen Nähe flieht. Einsam bleibt Elsa zurück.
Elsa wird von Salome Kammer verkörpert, die ein breites Arsenal an Geräuschen und Lautmalereien produzieren muss. Sie atmet, hechelt, würgt, imitiert die Vögel der Nacht und erzeugt diverse Naturlaute. Dazu stehen ihr drei (sehr gut und dezent ausgesteuerte) Mikrofone zur Verfügung, zwischen denen sie pendelt. Und sie spricht: teils flüsternd und beschwörend, teils resigniert und fassungslos, teils in hysterisches Lachen ausbrechend.
Zwischendurch schlüpft sie auch in die Rolle Lohengrins oder lässt die bedrohlichen „Elsa“-Rufe der Volksmenge ertönen. Kammer bewältigt ihre Aufgabe mit unglaublicher Intensität, mit virtuosem Ausdrucksvermögen und variationsreicher Körpersprache. Eine imponierende Leistung! Die drei anderen Solisten, der Tenor Volker Röhnert, der Bariton Alwin Kölblinger und der Bass Henry Kiichli kommen als Stimmen mit nur wenigen Phrasen zum Einsatz – mit schwierig zu treffenden Tonhöhen, wie der ständige Gebrauch der Stimmgabeln unterstreicht.
Die Musik von Salvatore Sciarrino macht es dem Hörer nicht leicht. Sie ist minimalistisch und drückt sich überwiegend in Flageolett-Tönen aus. Geräuschartige Klangtupfer, sehr filigrane Bläsersätze und trotz einer Orchesterstärke von immerhin 16 Musikern ein stets kammermusikalisches Klangbild bestimmen den Höreindruck. Nur selten werden dramatische Akzente gesetzt, dafür wird aber eine schwebend-trügerische Nachtstimmung von eigenem Reiz erzeugt.

Wolfgang Denker, Weser Kurier, 2014

 

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