Animierendes Hörabenteuer
Salome Kammer singt in belebend-vielfältigen Formen.
„Sie eine großartige Sängerin zu nennen, wäre untertrieben“ schrieb die Süddeutsche Zeitung über die in München lebende Musikerin. Und wer sie am Donnerstagabend in der Gare du Nord hörte, muss dem Urteil vorbehaltlos zustimmen. Salome Kammer, einst die Musikstudentin Clarissa in Edgar Reitz´ filmischem Epos „Heimat“, ist der Musik treu geblieben und begeistert ihre Zuhörer mit dem, was sie an der Musikhochschule München unterrichtet: Neue Musik für Gesang.
Im ersten Jahr der Gare du Nord, war sie bereits mit einem Soloprogramm im „Bahnhof für neue Musik“; nun , nach 15 Jahren, ist sie zurückgekommen, und gleich ihr erstes Stück, „rumgammeln und warten“ (2000/2015) von Iris ter Schiphorst und Helmut Oehring, verriet, was Salome Kammer perfekt beherrscht, nämlich in atemberaubender Virtuosität die Sprache zu dem zu machen, was sie immer auch ist: facettenreiche Lautung, in der Vokale und Konsonanten sich neu formen und ausdrücken, sodass die Sprache zu Musik wird und Musik zu Sprache.
Wer Luciano Berios „Sequenza III“ (1966) für weibliche Stimme, John Cage´s Aria“ (1958) und auch Mauricio Kagels „Turm zu Babel“ (2002) gehört hat, weiß, dass Singen heute zu dem zurückgekehrt ist, was es ursprünglich war, nämlich elementare Entäußerung der menschlichen Stimme. Das kann fast abstrakt geschehen wie in den eben genannten Kompositionen, aber eben auch in alter Weise, nun neu formuliert, wie zum Beispiel in Steffen Schleiermachers „An Sich“ (2009) nach dem Gedicht gleichen Titels von Paul Fleming (1609-1640), in dem Schleiermacher die Sprache in ein staccatohaftes Sprechen dekonstruiert, was dann so klingt: „Sei den-noch-un-ver-zagt!-gib-den-noch-un-ver-lo-ren!-Weich-kei-nem-Glück-e-nicht,-steh-hö-her-als-der-Neid.“
Die Sprache als lustigen Unsinn deformierte Paul Scheebart 1902 im „Monolog des verrückten Mastodon“, und auf seinen Spuren bewegt sich Christian Morgenstern im Text „Das große Lalula“ (1905). György Kurtág hat 1966/99 „Einige Sätze aus den Sudelbüchern Georg Christoph Lichtenbergs“ vertont, und hört man nun, wie in seiner Version die Kartoffeln da liegen und und ihrer Auferstehung entgegenschlafen, wird das zur belebenden Zuversicht. Ob Samir Odem-Tamimis „Spiegel der Erde“ (2002) nach dem gleichnamigen Gedicht des Syrers Adonis Zuversicht verheißt, blieb unklar, doch Tamimis Musik entführte in eine andere Welt.
Was Salome Kammers „Singen/Sprechen“ so faszinierend machte, war der mühelos gestaltete Wechsel der Vielfalt einer menschlichen Stimme. Das hat einerseits zu tun mit ihrer Stimmakrobatik, anderseits aber mit ihrem Einfühlungsvermögen in die jeweiligen Partituren und Texte. Kammer beherrscht diese Doppelung mit animierender Selbstverständlichkeit.
Badische Zeitung, 10.12.2016
„Vom Ort der Stimme“ weiß man nach Vortrag und Konzert in der Siemens-Rotunde nicht viel mehr, als dass es ihn eigentlich nirgendwo und überall gibt. Stattdessen ging der Hörer berauscht von Klängen, Bildern und Wissen (das der Künstler und Wissenschaftler Walter Siegfried in einem wahrhaft anschaulichen Text aufbereitete) nach Hause. Fortan wird er wohl beim Räuspern und Hüsteln, Schreien und Rufen an all die tanzenden Kehlköpfe denken müssen, die er per Video sah, und an die unglaubliche Fülle von Klängen, die Salome Kammer danach mit ihren Stimmritzen erzeugte.
Jeder Tontechniker, der so schnelle und saubere Schnitte zwischen Hecheln und Lallen, Säuseln und Schnarren, Singen und Sprechen herstellen müsste, geriete ins Schwitzen. Nicht so Salome Kammer, die aus Luciano Berios „Sequenza II“ auch mimisch und gestisch bestechend ein multiples Psychogramm einer ganzen Gruppe von Frauen machte. In John Cages „Aria“ nutzte sie die Freiheit der wie eine abstrakte Skizze gemalten „Partitur“ zu einem Feuerwerk an vokalen Stilen. Nur einmal, im brillant musikalisierten Buchstaben-Menü der Ur-Sonate von Kurt Schwitters, kam sie bei einer besonders schwierigen, permanent repetierten Passage für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Tritt und entschuldigte sich anschließend verschmitzt dafür, dass sie ständig an die gefährlichen Kehlkopf-Videos vom Beginn denken musste.
Kaum traute man sich an diesem oft auch erzkomischen Abend zu lachen, weil der Funk das Konzert mitschnitt, war also froh um den Ernst der letzten beiden Werke, „Canti del Capricorno“ von Giacinto Scelsi und die Uraufführung von „2WEI“. Die Vorlage, ein beinahe expressionistisches Gedicht von Dante über das Herz eines Mannes, das die Geliebte aufisst und dann von dannen schwebt, hatte Helmut Oehring in Laute dissoziiert und in teils durch Live-Elektronik schattierte, faszinierend ruhige und zugleich bedrohliche Klänge überführt. Ein verinnerlichter Nachklang auf die Extrovertiertheit Berios, mit dem Salome Kammer so fulminant begonnen hatte.
Klaus Kalchschmid, Süddeutsche Zeitung, 2001
Salome Kammer: een stem zonder beperkingen
Zaterdagavond heeft de Duitse sopraan de aanwezigen in de kamermuziekzaal aangenaam verrast met de kwaliteit van haar optreden. Naast een mooie zangstem, bewees ze dat ze nog andere kwaliteiten in haar ‘kammertje’ zitten had. Zij bewees ook een uitstekende performer te zijn.
Voor de pauze kon je niet spreken van zingen in de strikte zin van het woord. Een vrouw die slaap- en gezondheidsproblemen had liet geluiden de ruimte in gaan, die we niet verwachtten op een concert. Typische babygeluiden bewezen dat ze boeiend kunnen zijn. Haar acteerprestaties en de uitdrukkingen op haar aangezicht maakten er een aangename aanvang avond van.
Cage
Na de pauze was het de beurt aan Aria van John Cage. Een van de kenmerken van deze Amerikaanse componist is dat hij een ander soort partituur gebruikte dan de gebruikelijke notenbalken die iedereen kent. Kammer nam haar boekje van haar standaard en toonde het (foto) aan het publiek: iedereen zag een mooi plaatje met kleurvlakken die de muzikant de nodige improvisatieruimte geeft.
Kurt Weill hoorden we ook in zijn typische cabaretstijl. Van Leonard Bernstein hoorden we op muziek gezette recepten.
Afsluiten deed ze met negen mooie folksongs van Luciano Berio. De twee volksliederen uit de Auvergne deden ons heel veel denken aan de liederen van Canteloube.
Na de uitstekende prestatie liet ze op haar eigen manier de hommel van Rimsky Korsakov zoemen in haar pas ontvangen boeketje.
Patrick Pieters-Eigen Berichtgeving, 2012
…Ganz auf Sprache gegründet ist das Werk des Griechen George Aperghis…Für sein „Spectacle musicale“ mit dem Titel ZEUGEN kombinierte er Texte aus Dramoletten von Robert Walser mit Nachbauten der Handpuppen Paul Klees…Salome Kammer und Christopher Widauer liehen den Puppen ihre Stimmen, um die Puppenschicksale und Präsentationsebenen zu einer seltsam gebrochenen Poesie zu verflechten…
Die Transkription von alterssenilen Seufzern und Säuglingsgelalle der Kölnerin Carola Bauckholt fanden durch die Stimm- und Verwandlungskünstlerin Salome Kammer kongeniale Rückübersetzung.
Rainer Nonnenmann, Kölner Stadtanzeiger, 2007
ARIA war ein hinreißendes Vergnügen, selbst wenn die Ansprüche an das musikalische Verständnis des Publikums weitaus höher als vorhergesehen waren. Das Vertrauen auf die gesanglichen Qualitäten von Salome Kammer und die Neugier auf ihre lautmalerischen Experimente wurden belohnt. Zwar bezeichnet sich die Sängerin selbst als Stimmakrobatin oder Artistin, ihr Vortrag der „Sequenza III“ von Berio bewies jedoch, dass sie weit mehr mit den Satzfetzen eines Textes von Markus Kutter anzufangen weiß, als das Vorzeigen einer stupenden Technik. Wie beim klassischen Gesang formte sie mit den heterogenen Lautkürzeln vom Zischen, Altstimmenknödel bis zum exotischen Knacklaut afrikanischer Völker einen spannungsreichen Bogen zusammenhängender Silben zu einem klanglichen Sinn, der ungewohnt, aber einsichtig war. Dasselbe ereignete sich bei den „Sechs Laut- und Klanggedichten“ von Hugo Ball, deren dadaistische Faktur häufig nur belächelt wird, in der Interpretation von Kammer aber nicht nur wegen des Getiers wie Seepferdchen oder Katzen unmittelbar verständlich wurde. Was die Künstlerin bei einem Stimmumfang von weit mehr als zwei Oktaven und außerordentlich vif mit der „Aria“ von John Cage anzufangen wusste, war bewundernswert. Witzig und phantasievoll ordnete sie die verschiedenen Farben der graphischen Partitur einem Stimmtypus zu … und vollführte dabei ein farbenfrohes Jonglieren mit fünf Bällen (… Ursonate …) Hier lief die Künstlerin zu einer einzigartigen Höchstform auf. Sie beherrschte nicht nur souverän den Text, sondern hielt die immanente Spannung im sprudelnden, perfekt artikulierten Silbenlaut atemberaubend durch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1998
ARIA … wer darunter eine eingängige Vorstellung arienähnlicher Melodien erwartet hatte, wurde … sehr überrascht. Denn die Sängerin … machte die Gewöhnung an vertraute Hörmuster bewusst, indem sie sich durchgängig über diese hinwegsetzte. Dies mit einer stimmlichen Vielfalt, die sowohl durch ihr unglaublich facettenreiches Klangspektrum, als auch durch ihre eindrucksvoll ausgebildete Stimme eine Intensität erlangte, die begeisterte. Das Publikum war aber vor allem vom Charme der Sängerin hingerissen, auf deren Gesicht sich auch die kleinsten Nuancen des Vorgetragenen lebhaft widerspiegelten. Mit ausdrucksstarker Intonation verlieh sie den Texten noch da einen Sinn, wo der verwirrte Verstand wegen unverständlicher Aneinanderreihung schier unzusammenhängender Wortfragmente bis hin zu bloßen Buchstaben schon aufzugeben drohte … Diejenigen, für die moderne Musik den Beigeschmack des viel zu Ernsten oder Intellektuellen hat, wurden noch auf einem weiteren Gebiet überrascht und eines Besseren belehrt, denn die vorgetragenen Stücke berührten Emotionen, die von Faszination bis zum Lachen eine unglaubliche Bandbreite hatten; Emotionen, die eine Phantasie weckten, die vielleicht auch im Alltag in gewohnten Geräuschen andere Klangwelten zu entdecken im Stande sind.
Gießener Anzeiger, 1997
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