Ganz im Geiste des Festival-Begründers und seiner Jugendarbeit stand das heurige Claudio-Abbado-Konzert bei Wien modern: Das Webern Symphonie-Orchester der 22 Jahre alten Universität für Musik und darstellende Kunst spielte erstmals mit Musikern des Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris zusammen – und mit Ilan Volkov am Pult entstand ein homogener Klangkörper…
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Als Auftragswerk schuf Iris ter Schiphorst DAS IMAGINAIRE NACH LACAN für Darstellerin, Orchester und Live-Elektronik – die mitreißende Uraufführung im dritten Teil des Abends. Tatsächlich als „Experiment“ der Wahrnehmung, wie von Wien modern angekündigt, entpuppte sich die knapp 25-minütige stete Verwandlung der Hauptdarstellerin, der wunderbaren Salome Kammer, die seit Jahrzehnten jegliche Ausdrucksformen Neuer Musik mit stets derselben Konzentration ausfüllt. Die Theorie des französischen Psychoanalytikers und Psychiaters Jaques Lacan, wonach das Kleinkind durch sein Sich-selbst-Erkennen im Spiegel in der Folge seine Persönlichkeit in ein „je“ und ein „moi“ teilt, also in ein „soziales Ich“ und ein „Ideales Ich“, bildete für Iris ter Schiphorst und ihre kongeniale Librettistin und Regisseurin Helga Utz den Ausgangspunkt. Hier entstand nun plötzlich beinahe großes Musiktheater, gewürzt mit verschiedenen stilistischen Einsprengseln samt effektvoller Live-Elektronik. Kammer begann die Aufführung mit Kopfschleier verhüllt im Publikum und wandelte sich im Laufe des Stücks mehrmals durch Kleiderwechsel von einer (vermutlich) muslimischen) Frau zu einer ohne offensichtlich religiöse Symbolik. Erst ganz am Schluss sie in ihrer areligiösen Rolle die Verkleidung ab: Ein eindrucksvoller Moment zwischen Erstaunen und Aha-Effekt.
ÖMZ 6/2017 von Markus Hennerfeind
Wien – Bunt und jugendlich ist das Publikum im Großen Konzerthaus-Saal, wo das Webern Symphonie Orchester der Musikuni durch Studierende des Conservatoire national de Paris erweitert wurde: Auffällig viele Damen und Herren aus dem orientalischen bzw. arabischen Raum sind dabei, etliche Frauen mit Kopftuch, einzelne Männer in kaftanartigen Gewändern. So laut, wie manche Pausengespräche aufwallen, so gespannt ist die Aufmerksamkeit während des langen Claudio-Abbado-Konzerts in Erinnerung an den Dirigenten und Initiator des Festivals Wien Modern.
Die Internationalität der Zuhörer hat wohl ihren Grund im letzten, für ein Orchesterkonzert mit neuer Musik eher unorthodoxen Programmpunkt, der ein weites Assoziationsfeld eröffnet: Ganz dem Festivalmotto „Bilder im Kopf“ verpflichtet war dabei die Uraufführung von Das Imaginäre nach Lacan von Iris ter Schiphorst, die als Experiment mit der visuellen und auditiven Wahrnehmung von Lacans These ausging, dass sich Individuen erst durch ihre Begegnungen mit dem „Anderen“, mit dem „Fremden“ definieren.
Dafür hat Librettistin Helga Utz poetische frühislamische Texte von Dichterinnen kompiliert, die die eindringliche und dabei virtuose Sopranistin Salome Kammer abwechselnd „arabisch“ verschleiert und dann „europäisch“ gekleidet sang. Von orientalisch angehauchten Kantilenen bis zu extrovertierten Mustern in der Nähe von amerikanischer Popularmusik reichte die stilistische Bandbreite des Stücks.
So einfach diese Grundidee, so plastisch und schlicht das musikalische Material, so wirkungsvoll war allerdings das Setting – und die dabei entstandenen Bilder im Kopf werden wohl bei vielen noch lange nachklingen.
Der Standart 5.11.2017 von Daniel Ender
…Höhepunkt des Abends bildete das Werk „Das Imaginäre nach Lacan“
der in Wien wirkenden Komponistin Iris ter Schiphorst. Die Sängerin
Salome Kammer trug darin Fragmente aus klassischen arabischen
Dichtungen vor, wobei sie sich teils in arabischer, teils in europäischer
Kleidung präsentierte – ein Spiel mit den Bildern, die im Kopf bei der
Wahrnehmung des Fremden entstehen. Nicht nur die szenische
Umsetzung, auch die Musik selbst vermochte dramatische Spannung
aufzubauen – das elektronisch erweiterte Orchester erzeugte ein
Klangbild von ungewöhnlicher Drastik.
Wiener Zeitung online 6.11.2017 von Lena Draži?
…Höhepunkt des Abends die Uraufführung von „Das Imaginäre von Lacan“ der deutschen Komponistin (und Professorin am mdw) Iris ter Schiphorst für Darstellerin/Singstimme, Orchester und Live-Elektronik (2017). Text: Helga Utz nach altarabischen Dichtungen. Jaques Lacan (1901-1981) erweckte
in der Stadt des Sigmund Freud als eine Art Freud-Nachfolger unter den Psychoanalytikern Interesse der aus Berlin stammenden Komponistin. Das „Ich“ (die Selbsterkenntnis) des Menschen entwickle sich, vereinfacht gesagt, im Spiegelstudium. Daher sei der ursprüngliche Arbeitstitel auch „Spiegel“ gewesen.
Davon kam man aber wieder ab. Und das „Imaginäre“ (nur in der Vorstellung Stattfindende) soll sich in den poetischen Texten (überraschend hoher Anteil an Frauen!) widerspiegeln.
Iris ter Schiphorst verleiht diesen Texten nicht nur musikalische Inspiration, sondern darüber hinaus hohe emotionale Dringlichkeit. Und mit Salome Kammer hat Schiphorst eine idealtypische Interpretin dieser 16 Sequenzen. Diese sind im Wien Modern-Almanach mit „Die Wölfe frei, die Hirten sind in
Ketten!“ übertitelt. Die gleichbleibenden Texte werden verschiedensprachig und in wechselnden Kostümen (zwischen westlich-europäisch und muslimisch samt Schleiern changierend) mit packender Intensität gestaltet. Kammer ist ein künstlerisches Multitalent (Sängerin mit weichem Timbre, stratosphärisch anmutenden Hochtönen; Schauspielerin mit vergleichsweise dunkel grundierter Stimme mit großer Ausdruckskraft gerade auch im dramatisch zugespitzten Sprechgesang, aber auch eine Cellistin). Die Kostümwechsel auf „offener Bühne“ gestaltet sie mit Geschmack und ohne jede Aufgesetztheit. Das „künstlerische Experiment zum aktuellen Verschleierungsverbot“ wurde voll goutiert – ganz ohne künstliche Erregung, wie sie im Alltag mitunter anzutreffen ist. Live-Elektronik (Wolfgang Musil), Tonassistenz (Jon Geirfinnson) und die geschmackvollen Kostüme (Anna-Sophie Lienbacher) rundeten eine durchaus denkwürdige Aufführung trefflich ab.
Verdiente Ovationen für alle Beteiligten! Ilan Volkov und das Webern Orchester, glückhaft fusioniert mit dem Orchester des Conservatoire Paris, wurde nach einer interpretatorischen Sonderleistung gefeiert.
Das ruft weiterhin nach Kooperationen dieser und ähnlicher Art!
Online Merker 5.11.2017 von Karl Masek
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