UND ICH WERDE NICHT MEHR SEHEN – Liederabend in Wittlich

Von der inneren und äußeren Landschaft des Exils

Konzert in der Synagoge zu Wittlich

Hollywood sei Himmel und Hölle, klagte Bert Brecht über die kalifornische Traumfabrik. Der feindliche Kapitalismus, gegen den er in Deutschland so vehement persönlich und in seinem Werk gekämpft hatte, schien ihm hier in Reinkultur verwirklicht.

„Hier isst man Geldscheine“, schrieb er und fügte sarkastisch hinzu, in Hollywood habe Gott die beiden außerirdischen „Etablissements“ zusammengefasst. Die Not des Exils und der Kulturschock der Neuen Welt hatten dem Schriftsteller den Blick noch geschärft für jenen Ort, an dem man nach seiner Meinung nur Elegien schreiben konnte. Bert Brechts berühmte Hollywood-Elegien, die sein ebenfalls nach Amerika emigrierter Freund Hanns Eisler vertonte, bildeten den Höhepunkt des Liederabends in der Wittlicher Synagoge zum Gedenken an die sogenannte Reichspogromnacht 1938.

In der Nacht auf den 10. November wütete auch in Wittlich der nationalsozialistische Terror gegen die jüdische Bevölkerung und schändete die Synagoge. Veranstaltet wurde das Konzert, dem ein Schweigekreis und eine Kranzniederlegung an der Synagoge vorausgingen, gemeinsam vom Kulturamt der Stadt Wittlich, dem Emil-Frank-Institut und dem Arbeitskreis Jüdische Gemeinde Wittlich. Unter dem Titel „Und ich werde nicht mehr sehen“ hatte die Schauspielerin und Sängerin Salome Kammer Lieder mitgebracht, die von Komponisten stammten, die bis auf Maurice Ravel nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich aufgrund ihrer jüdischen Abstammung oder ihrer politischen Gesinnung emigrieren mussten. Unter ihnen Arnold Schönberg, einer der einflussreichsten Komponisten für die Entwicklung der modernen Musik. Als Zwölfton-Komposition erklang sein „Mädchenlied“.
Zu Wort kam allerdings auch ein zu seiner Zeit bekannter Künstler, der heute fast vergessen ist. Das erfolgreiche Musikerleben des Wieners Alexander von Zemlinsky, der die schöne und begehrte Alma Mahler unterrichtete, endete mit der Auswanderung nach New York. Ebenfalls zu den hier erinnerten Komponisten gehörten Friedrich Hollaender und Kurt Weill. Salome Kammer, die als Schauspielerin aus Edgar Reitz’ Filmepos „Die zweite Heimat“ bekannt ist, bezeichnet sich als Stimmsolistin. Auch in Wittlich war ihre vitale wandelbare Stimme die Hauptdarstellerin. Beredt und hochpräsent veräußerte sie das Seelenleben der Lieder, ihren Schmerz, ihre Hoffnungen, ihren Witz.
Gänsehaut erzeugte sie mit Brechts ernüchternder, von Kurt Weill vertonter Ballade „Und was bekam des Soldaten Weib“ aus dem Drama „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“. Verstörend und hoffnungslos erklangen Brechts zutiefst pessimistische Nachkriegselegien „An die Nachgeborenen“ (Vertonung Hanns Eisler).

Zwischen den Liedblöcken führte die Sängerin ihr Publikum in die Biografien der Komponisten und Bert Brechts ein und machte ihre Verbindungen untereinander deutlich. Am Klavier begleitete sie engagiert und einfühlsam Rudi Spring. Zum Ende des musikalischen Ausflugs viel Applaus in der vollen Synagoge.

Trierischer Volksfreund 11.11.2017 von Eva-Maria Reuther

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